Grundsätzlich ist es ja fein, wenn sich moderne Menschen um ihr gepflegtes Aussehen kümmern. Viele 50-Jährige sehen heute bedeutend besser aus als noch vor einigen Dekaden oder in anderen Teilen der Erde. Natürlich gehören zum modernen Lebensstil längst auch gelungene Anti-Aging-Kniffe. Nach den mimischen Entgleisungen aus den 80er Jahren ist man wieder zu einer gemäßigten Form der gesunden Schönheitsmedizin zurückgekehrt und hat diese sogar noch weiterentwickelt.
Aus sprechtechnischer Sicht wird es dann problematisch, wenn kosmetische Eingriffe nicht nur zu sehen, sondern sogar zu hören sind.
Ich habe in den letzten Jahren immer wieder die Entdeckung gemacht, dass manche Frauen den Buchstaben “F” beispielsweise gar nicht mehr richtig “pfeifen” konnten, da ihre Ringmuskulatur rund um den Mund nur noch eingeschränkt funktionierte. Wenn Madame nach einem zu gut gemeinten “Lipflip” zwar die gewünscht größere Oberlippe voller Stolz schürzt, ihr jedoch keine natürliche Lippenmimik mehr gelingt, dann wird die Aussprache insgesamt undeutlicher. Schlecht artikulierte Sprache führt selten zu mehr Wirkung.
Früher waren Zahnfehlstellungen, phonetische Auffälligkeiten oder falsch gesetzte Regulierungen aus sprechtechnischer Sicht ein Problem. Heute redet die Schönheitsindustrie im Gesicht mit. Aufgespritzte Lippen sind kein Garant für gute Aussprache – wir brauchen unseren gesamten Sprechapparat zur Bildung und deutlichen Artikulation von Worten. Besonders die Lippenlaute sind dabei ständig im Einsatz. Beispielsweise bei den Klingern „b“, „p“, „m“, „f“ und „v“ müssen unsere Lippen mal pressen, dann wieder flott schließen oder pfeifen und damit ständig arbeiten.
Unsere Sprache besteht nicht nur aus Zahn,- Gaumen- oder Rachenlauten. Den Satz: “Barbara bleibt bis Bern im Bus” können “Lipflipper” und andere optimierte Schmollmünder oft gar nicht mehr mit dem dafür nötigen stimmhaften “b” produzieren, weil der dafür nötige Druck auf die Lippenmuskulatur fehlt. Lippengespritzte Damen der besseren Gesellschaft wurden selbst akustisch Zeuginnen ihrer Sprachaufnahmen und hörten sich falsch sagen: “Fui, das Ferd frisst keinen Feffer!” Für ein richtig gebildetes “pf” brauchen sogenannte “Affrikata” phonetisch betrachtet eine verzögerte Verschlusslautlösung. Wenn der orale Atemstrom jedoch auf ein Hindernis stößt, dann verändert das die gewünschte Lautbildung.
Klinger werden auch “Halbvokale” genannt und lassen damit schon ihre große Bedeutung für charismatische Sprache erahnen. Je weniger klingt, desto flacher wird der Rededuktus und umso monotoner spricht ein Mensch.
Fazit: Wer immer in der “Schnoferl-Position” spricht, der schürzt zwar möglicherweise nach ästhetischen Gesichtspunkten optimal die Lippen, nur artikulatorisch betrachtet taugt diese Mundöffnung fürs Sprechen nicht.