Hat jeder ein rhetorisches Talent?

29. August 2019 von Tatjana Lackner, MBA

Hat jeder ein rhetorisches Talent?

Wir alle haben als Kinder reden gelernt. Diese Grundfähigkeit wurde von manchen perfektioniert und sie entwickelten daraus einen Beruf. Professionelle Sprecher haben, ebenso wie Moderatoren oder Schauspieler, als Kinder die ersten Worte geformt, dennoch verfügen sie heute über eine Fähigkeit, die anderen fehlt.

Nach mittlerweile 25 Jahren als Kommunikationsexpertin und mehr als 99.000 Einzeltrainings in unserem Haus, weiß ich definitiv, dass jeder Mensch ein rhetorisches Talent besitzt. Drei relevante Fragen: Worin? Wird es entdeckt? Und was macht man dann damit?

Die wenigsten Menschen finden in diesem Leben heraus, was sie in der Kommunikation richtig gut können. Stattdessen konzentriert sich fast jeder Zweite auf seine Schwächen.

Vor einem Jahr hatte ich beispielsweise eine Kundin, die massiv von Lampenfieber geplagt wurde und trotz ihrer internationalen anerkannt Expertise schon im kleinsten Meetingraum Panik bekam. Sie wurde damals zu mir empfohlen und erzählte mir sehr anschaulich von ihrer Angst und den damit verbundenen Symptomen.

Profiling spürt Stärken auf

Damit ich mit meinen Kunden präzise an den Themen arbeite, die sie zu mir geführt haben, schreibe ich in der Erstanalyse akkurat ein Diagnoseblatt über den Rededuktus und individuelle Fähigkeiten. In einer Stimm- & Bedarfsanalyse werden sowohl Sprachmuster als auch Rhetorik ausgewertet. Danach liegen die Lernfelder, aber vor allem das persönliche rhetorische Talent, klar auf dem Tisch.

Mir entging deshalb damals nicht, wie gut und bildhaft die sympathische Wissenschaftlerin ihre Schilderungen ausschmückte. Ihr gelang es schon nach den ersten Sätzen, dass sogar ich mich beklommen fühlte, durch ihre Ausführung über die körperlichen Zustände ihrer Redeangst.

Ich schrieb damals auf das Diagnoseblatt: S. hat einen sanften Hang zu Übertreibungen und gute Anlagen für gelungene sprachliche Wortbilder, zudem wählt sie ihre Worte mit Bedacht. Ihre Erzählsprache ist gewitzt, flüssig und von angenehmer Vokalisation.

Abgesehen von sprechtechnischen Verbesserungen und stimm-modulatorischen Verfeinerungen, liegt ihr rhetorisches Talent im assoziativen Denken; konkret in ihrer bildhaft-narrativen Erzählweise.

Das rhetorische Talent als Waffe

Wir haben uns in den darauffolgenden Wochen sowohl um ihr Lampenfieber gekümmert, als auch darum, ihr rhetorisches Talent weiter auszubauen. Frau Dr. S. hat begonnen, Vorträge nicht mehr wie einen Monolog vorzubereiten, sondern wie ein Gespräch. Endlich kam in den dialogischen Passagen ihr rhetorisches Talent zum Vorschein und sie erreichte ihr Publikum. Durch die positiven Reaktionen der Zuhörer wurde sie ruhiger und langsam mutiger. Bald wurde ihr bewusst, dass sie durch ihren neuen narrativen Redestil in Präsentationen gelassener sprach und tolles Feedback erntete.

Obwohl sie Vorträge immer noch mit Respekt betrachtete, empfand sie Freude an ihrer Persönlichkeitsentfaltung und meldete sich sogar für das Business Rhetorik Diplom an.

Immer wieder habe ich in den letzten Jahrzehnten Menschen erlebt, die rhetorisch talentiert waren und es selbst nicht wussten. Der eine ist vielleicht schlagfertig, obwohl er sich nicht für den großen Redner hält. Ein anderer kann aktiv zuhören, während der Rest schnattert.

Fazit: Wer sein rhetorisches Talent aufspürt und noch dazu moderne Kommunikationstools tankt, der hat für die Kommunikation gesprochen, im Lotto gewonnen.

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