Unser Gehirn – der beste Akku

2. Juli 2020 von Tatjana Lackner, MBA

Echt, Dumme hirnen mehr?

Es ist faszinierend: Bereits nach einer Zehntelsekunde fällen wir ein Urteil, ob wir etwas mögen oder nicht. Dabei ist unser Gehirn biologisch betrachtet nur ein Haufen elektro-chemischer Signale, die optisch in Form einer wenig schmucken grauen Badekappe daherkommen.

Seit dem ersten Erdentag kann unser Gehirn jedoch bedeutend mehr, als wir eigentlich mit ihm machen. Das ist ein bisschen vergleichbar mit den elektronischen Geräten, die wir zu Hause haben: Jede Kamera, jeder Videorekorder, jedes Handy „kann“ mehr als wir je erforschen oder nutzen werden. Der Neuronen-Speicher unseres Gehirns ist ebenso nie voll, und auch der Nervenzellen-Akku nie leer. Dennoch schafft es auch das stärkste Superbrain auf Erden nicht, das menschliche Gehirn vollständig zu erkunden. Schon gar nicht gelingt es uns übrigen Durchschnittsdenkern zu erklären, wie die graue Masse bis ins kleinste Detail funktioniert. Wir können unsere Neuronen zwar täglich benutzen, wir können sie aber bedauerlicherweise nicht bis in die letzte Synapse verstehen. Sind wir zu doof, um zu begreifen, wie intelligent wir tatsächlich sind?

Einerseits ist der Mensch angeblich zum Mond geflogen und hat sein eigenes menschliches Erbgut entschlüsselt – auf der anderen Seite ist unser Brain wie ein neuer Kontinent. Moderne Gehirnforscher ähneln den Neulandentdeckern, wie Kolumbus, Magellan oder Vasco da Gama. Laut dem deutschen Biologen und Hirnforscher Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth ist es ein Märchen, wenn behauptet wird, wir würden unser Gehirn nur zu 10 Prozent nutzen und 90 Prozent davon lägen brach. Es ist sogar eher umgekehrt: Weniger schlaue Menschen verwenden ihr Gehirn stärker als mutmaßlich Intelligente. Bildgebende Verfahren zeigen demnach deutlich: Der Dumme muss mehr Reibung erzeugen, um zu verarbeiten. Beim Intelligenten geht dieser Prozess schneller. Roth ist sich auch sicher, dass die Zahl der fundamentalen neuen Ideen eher begrenzt ist.

Wenn man die letzten tausend Jahre Revue passieren lässt wird klar: Ganz viele neue Lebensthemen sind seit den alten Griechen nicht dazu gekommen, obgleich doch sehr viel Zeit vergangen ist. Die literarischen Themen und Handlungsmotive haben sich durch die Jahrtausende nicht gänzlich verändert: Liebe, Tod, Eifersucht, Rache, Habgier, .… sie alle gibt es im modernen Regietheater immer noch.

Was lernen wir von unserem Gehirn?

Unser Bauchhirn trifft immer noch die solideren Entscheidungen, als unser Kopf. Darüber gibt es im Olymp der Hirnforschung weitgehende Einigkeit. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman gehört zur Elite der Psychologie. Der unglaublich wache 83-jährige ist auch der einzige, der je einen Nobelpreis für psychologische Forschung erhielt. Bereits im Spiegel-Gespräch vom Mai 2012 fasste er seine Erkenntnisse anlässlich seines Buches „Schnelles Denken, langsames Denken“ zusammen: Unser Gehirn ist zweigeteilt. Im System 1 wohnen unsere Intuition, Gefühle, Emotionen. Es kann nie abgeschaltet werden. Es schläft nie. Im System 2 findet sich unsere Vernunft, Selbstkontrolle, Intelligenz – alles wesentliche Faktoren, um festen Regeln folgen zu können. Auch Kahneman deutet immer wieder an, dass es in vielen Bereichen vernünftiger ist, dem Bauchgefühl zu vertrauen.

Schnelles Denken ist völlig in Ordnung, wenn es beispielsweise darum geht: Welches Poster soll ich mir kaufen und wird es mir auch in einigen Jahren noch gefallen? Meistens ist der Erstimpuls ziemlich richtig. Dieser kommt eben aus dem Bauch. Große Entscheidungen verdienen jedoch, genau bedacht zu werden – langsames Denken ist dann angesagt. Kahnemann unterscheidet zwischen dem „erinnernden Ich“ und dem „erlebenden Ich“ und fügt hinzu, dass das „erinnernde Ich“ unser Leben bestimmt. Das Gedächtnis schönt und verdichtet im Rückblick. Der Mensch besteht daher aus zwei verschiedenen Ichs: das erinnernde Ich, das nur die schönen Geschichten speichert, und das erlebende Ich, das auch negative Erlebnisse aktuell erlebt, aber nicht langfristig abspeichert. Der Mensch wird von einem Zuversichtsgenerator angetrieben, der schon früh in der Stammesgeschichte angelegt wurde.

Wenn unser Köpfchen also schon so ein Tausendsassa ist, dann stellt sich natürlich – wie bei jedem Star – die Frage: Was können wir von ihm lernen? Während wir uns außen um Ordnung, Struktur und Hierarchie in beinahe allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens bemühen, ist das Gehirn dagegen polyzentrisch organisiert, also gar nicht dirigistisch. Wie ist unser Gehirn überhaupt – sehr verkürzt – aufgebaut? Der kleinste Teil sichert die wichtigsten, weil lebensnotwendigen Funktionen ohne, dass wir eigens über sie nachdenken müssen. Niemand überlegt sich den nächsten Atemzug bewusst oder muss sich erinnern, wie das mit dem Aufwachen funktioniert. Für unser Überleben ist im Hypothalamus gesorgt. In diesem Areal hat die Steuerungszentrale des vegetativen Nervensystems ihren Sitz und zeichnet verantwortlich für alle lebensbestimmenden Funktionen. Das Kleinhirn regelt unseren Bewegungsablauf und sorgt für Gleichgewicht.

Im limbischen System lernen wir schon vor der Geburt, was gut oder schlecht ist für uns. Dort wird maßgeblich abgespeichert, wie wir uns emotional in der Welt zu Recht finden. Unsere Emotionen bringen wir laufend in Verbindung mit unserem Sozialverhalten und lernen auf diese Weise ein Leben lang dazu. Wer sich also nicht immer wieder auf Neues einlässt, um Erfahrungen zu machen und diese auch bewertet, der wird geistig nicht wachsen.

Fazit: Unser Gehirn lebt uns die Selbstorganisation recht erfolgreich vor. Die Devise lautet stets: Erkennen – Benennen – Umsetzen!

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