Glaubenssätze und Behauptungen
Im Zuge eines Jahres hört man als Trainerin viele Glaubenssätze und Behauptungen. Das ist in anderen Berufen bestimmt ähnlich. Zuletzt wurde ich von einem Redakteur gebeten “die fünf dümmsten Meldungen des ausklingenden Jahres” zusammenzufassen und näher zu beleuchten. Gerne habe ich mich an die Arbeit gemacht und diesen Überzeugungen auf den kariösen Zahn gefühlt.
1. “Ungecoachte Menschen sind mir lieber, die sind wenigstens authentisch!”
Na Bravo! Wahrscheinlich sind solche Überzeugungen auch der Grund, warum bei uns die verbalen Charismatiker landesweit rar sind – während in vielen anderen Schulsystemen junge Menschen Sprechtechnik, Stimm-Modulation oder “Speech & Debate” lernen.
Selbst vom Frisör erwarten wir, dass er sein Handwerk kann und nicht erst auf unserem Kopf aus dem Bauch heraus zu experimentieren beginnt. Für berufliche Vielsprecher liegt das Handwerk im Mund. Lieber langweilt uns der Vorstand nicht mit “sozusagen”, “mehr oder weniger”, “im Großen und Ganzen” und “in Tagen, wie diesen” oder anderen Bullshit Bingo-Stehsätzen. Jedem Rundfunkredakteur, der hörbar in eine Sprecherausbildung investiert hat, sind wir dankbar für seine klare Sprache und die feine Modulation.
Die eigene Stimme bewusst auszubilden und gute Sprechtechnik zu erlernen, ist für die Karriere manchmal wichtiger, als der universitäre Abschluss. Im Medienzeitalter ist es problematisch überhört zu werden. Weder Leisesprecher, Näsler, noch Dampfplauderer oder monotone Fadtexter werden im Business geschätzt.
2. “Ein Vorstand sollte mit seinen Mitarbeitern auf Augenhöhe reden”
Ist klar. Wie kann man mit seinem Chef “auf gleicher Augenhöhe” sprechen, wenn man ihm doch unterstellt ist? Wie soll der 6-Jährige jemals “auf Augenhöhe” mit dem Uropa über den Krieg reden. Hinter dem Wunsch versteckt sich in der Kommunikation stets die Hoffnung, vorhandene sozialen Unterschiede, Machtverhältnisse oder Bildungsstufen nicht spüren zu müssen. Klar sollen wir versuchen diese Kluft zu überbrücken und andere nicht zu brüskieren. Doch: Die Unterschiede sind gegenwärtig.
Selbstverständlich können wir im Ton partnerschaftlich oder beziehungsorientiert mit unseren Mitarbeitern und Kindern reden und bei der Ausgabe von Instruktionen Kooperation signalisieren. Menschen sind zwar gleich wertvoll, aber eben nicht gleichgestellt.
Wenn der Patient zum Arzt kommt, dann möchte er zurecht, dass sein Doktor mit ihm so redet, dass er der Diagnose und den Behandlungsempfehlungen folgen kann; aber “auf Augenhöhe” findet dieses Gespräch trotzdem nicht statt. Denn der eine weiß fachlich klar mehr als der andere, deshalb wird ersterer konsultiert.
3. “Wir müssen nachhaltig denken!”
Denken ist gut. In den meisten Fällen verwenden Menschen das Wort “nachhaltig” jedoch, wenn sie langfristig meinen. Das ist nicht dasselbe. Wer provisorische Lösungen oder schnelle Gewinne ablehnt, der arbeitet deshalb noch nicht integer für die Umwelt. Der ökologische Fußabdruck hingegen gibt in Hektar an, wie viel Fläche unseres Planeten jemand auf Grund seines Konsumverhaltens zur Befriedigung seiner Bedürfnisse benötigt. Ressourcenschonend planen ist völlig okay. Nachhaltig “denken” wird schwierig.
4. “Das kommt immer darauf an …“
Dieser Satz ist eine inhaltliche Nullnummer und deshalb situativ selten die große Bereicherung. Immerwährend gültige Versatzstücke in der Rhetorik gehören zur Deponie der Füllphrasen und Kalendersprüche und sind wenig wertvoll. Tausende Affirmationen sind auf diese Weise gebaut. Zum “Horoskop der Redekunst” gehören auch Sätze, wie “jeder solle auf seine innere Stimme hören”. Ja, eh! Problem nur, wir haben viele innere Lobbyisten, welchen hören wir also zu?
5. “Storytelling ist wichtiger, als Bilder!”
Selbst beim Visual Storytelling ist es das Bild, das sofort unbewusst Emotionen auslöst. Deshalb brauchen in den sozialen Medien beispielsweise auf Instagram Bildunterschriften nur eine knappe prägnante Posting-Botschaft um “die Geschichten zu erzählen”.
Narrative Erzähl-Elemente helfen uns zwar dabei, Inhalte leichter zu verstehen und länger zu behalten. Das Kopfkino wird angeregt – der Buchstabenwald alleine bleibt jedoch unverdaulich. Fotos, Piktogramme Filme und Bilder hingegen erreichen uns leichter und lösen sofort Emotionen aus. Menschen kaufen sich Gefühle und sind durch Stimmungen korrumpierbar. Es wirkt komisch, wenn deutsch-sprechende Redner im Ted-Talk-Style beginnen ihren inneren Monolog vor den Zuhörern auszubreiten, wie einst Steve Jobs oder wie Ellen DeGeneres in ihrem Talkshow-Format. Im D-A-CH Raum legen wir unser Inneres nicht öffentlich frei, sondern wir kümmern uns darum das Interesse des Auditoriums zu wecken. Ein 2-Minuten-Video oder ein adäquates Foto können mehr für die Rede tun, als ein geschraubter Storytelling-Vortragsbeginn. Zudem wirkt es kurzweilig und medial kompetent.
Fazit: Kein Wunder, dass Kommunikation zu den Top-Future Skills zählt. Zu den 4 K’s der Zukunft gehören außerdem: Kreativität, Kooperation und kritischem Denken.