Eine Ode an das Jörgerbad

9. Oktober 2024 von Tatjana Lackner, MBA

Dieses kleine Wiener Hallenbad mit Außenbereich im Sommer ist mittlerweile mehr als 110 Jahre alt und gehört zu den Schmuckkästchen der öffentlichen Einrichtungen im 17. Bezirk. Es wurde vom Architekten Friedrich Jäckel ganz im Stile der Wiener Werkstätten gebaut. Man muss sich das einmal vorstellen: Am 23. Mai 1914 wurde das Jörgerbad feierlich von Bürgermeister Richard Weiskirchner eröffnet und am 1. August begann bereits der Erste Weltkrieg. Zum Glück wurde es später wieder aufgebaut. Das Retro-Ambiente bietet ein Jahrhundert später immer noch einen gelungenen Rahmen für Schwimmbegeisterte. 

Heute erkennt man ein gutes Schwimmbad daran, dass die Wasserqualität nicht nur zwei Mal wöchentlich geprüft wird, wie staatlich aufgetragen, sondern freiwillig sogar drei Mal wöchentlich einer Kontrolle unterzogen wird. Montags wird das Bad geputzt und daher ist generell geschlossen. 

Dienstag, Donnerstag und Freitag bin ich regelmäßig von 06:45 – 07:45 Uhr frühschwimmen. Die Verhaltens-Profilerin in mir schläft selten und selbst mit nassem Kopf und Schwimmbrille lassen sich hier unterschiedliche Badetypen scouten. Beispielsweise der schlanke Herr, innerlich nenne ich ihn “der Denker”: er wirkt leptosom, introvertiert und braucht klare Routinen. Seine Badehaube setzt er sich stets auf die gleiche Weise auf, er kommt stets 10 Minuten nach Öffnungsbeginn. Obgleich er ein guter Schwimmer zu sein scheint – schließlich ist er im Sportbecken zugelassen – habe ich ihn noch nie in Aktion gesehen. Stattdessen steht er in voller Größe mit Badehaube im Wasser am Beckenrand und beobachtet die anderen rund um sich. Er scheint die Atmosphäre in der Halle aufzusaugen und wirkt dabei gedankenverloren. Man könnte ihn im “wirklichen Leben” für einen Anwalt oder Steuerberater halten, der hier ausreichend Ruhe findet und im “Narrnkastl” seine härtesten fachlichen Nüsse knackt. 

Zu den ersten Frühschwimmerinnen gehört die große stämmige Frau im Bikini. Dieser Zweiteiler hat eindeutig schon bessere Zeiten gesehen. Unter uns – sie ist von einer „optisch erlaubten“ Bikinifigur so weit entfernt, wie ich von einem trainierten Körper. Aber wurscht! Bodyshaming war gestern. Widerwillig schwimmt sie mit herunterhängenden Mundwinkeln und sieht dabei immer ein bisschen aus, als hätte sie etwas Schlechtes gegessen. Bei ihr hat man den Eindruck, sie muss sich zum Frühsport regelrecht zwingen. Die opulente Bikinifrau freundlich zu grüßen ist sinnlos. 

Der Bademeister ist ein Kino für sich: Ein kleiner drahtiger Mann mit jamaikanischem Häkelbeanie und jeder Menge fernöstlicher Lebensweisheiten auf den Lippen. Bei ihm gibt es in der Früh sogar Musik, was alle beschwingter paddeln lässt. Aus den schlechten Lautsprechern der Badeanlage dröhnt früh morgens dann “Amore, ti amo”. Skurrile Szenen und Radio Niederösterreich lassen grüßen. Aber für meine 40 Längen reicht das allemal. 

Der Beanie-Bademeister hat offensichtlich noch nie etwas von “Mansplaining” gehört: Zu Beginn empfand ich seine ungefragten Ezzes und lächelnden Verbesserungsvorschläge, meinen Schwimmstil betreffend, als krasse Einmischungen. Zum einen besitze ich nicht nur den Frei- und Fahrtenschwimmer-Ausweis seit meiner Schulzeit, sondern ich habe in der Oberstufe sogar das Rettungsschwimmer-Abzeichen gemacht. Pah! Seine eigenmächtigen Kommandos: „Füße ausstrecken!“ „Becken höher!“ „Komm in die Gleit-Energie mit den Vorderarmen!“ waren daher anfangs befremdlich. Mittlerweile bin ich über das wochenlange Gratis-Schwimm-Coaching dankbar. Mr. Beanie trainiert nicht nur mich aus freiem Willen, sondern grundsätzlich alle, bei denen er lohnenden Optimierungsbedarf ortet. Mittlerweile scheine ich zu seinen entwicklungsstärksten Schwimmschäfchen zu gehören. Aktuell ist die einzige Manöverkritik: “Alles richtig! Gute Haltung, aber du musst beim Schwimmen mehr lächeln!” Na gut. 

Ein großes Vorbild für mich ist der „Typ Schwimmwolf“.  Ein stämmiger Anfang-60er, der wahrscheinlich unter uns allen der beste Ausdauerschwimmer ist. Sobald er auftaucht, klemme ich mich keuchend hinter ihn und nütze seine Verdrängungskunst, denn er ist wahrlich ein rücksichtsloser Geselle. Was sich in den Weg seiner Schwimmbahn legt, wird mit aggressiven Tempi verdrängt. Wie ein Eisbrecher kämpft er sich seine Spur durch das völlig überfüllte Bad. Man darf erstaunt sein, wie viele Menschen um 06:45 nichts Besseres zu tun haben, als ins Chlor abzutauchen. 

Im Herbst kommen dann auch noch die Urlauber zurück aus den Ferien und das Badegemetzel potenziert sich. Am schlimmsten ist der Dienstagmorgen, weil nach dem geschlossenen Montag die Meute schon runter bis auf die Stufen zur Straße ansteht. Die resche Kassierin öffnet keine Sekunde früher als 06:45 Uhr. Der Preis ist immer: € 2,40. Deshalb ist mein liebster Schwimmtag der Freitag, weil da der eine oder andere doch schon ins Wochenende abgezischt ist oder um 06:45 lieber noch ausschläft und so das Wochenende einläutet. 

Unter die vielen Studenten, Sportschwimmern und anderen Gästen, die mir im Bad begegnen, fällt auch eine ältere Dame, die stets verzweifelt in der Mitte des Schwimmerbeckens wie Treibholz vor sich hin gondelt. Das erstaunliche ist, dass sie nicht untergeht, obwohl sie nie Tempi macht. Stattdessen wirkt sie enerviert über den spritzenden Schwimmwolf und die anderen zügigen Frühsportler links und rechts von sich. Warum sie zu so früher Stunde verloren mitten im Becken verweilt, weiß niemand so genau, aber wir versuchen alle, rund um sie herum zu manövrieren. 

Dann gibt es noch die andere ältere und gebückte Frau, die ganz fleißig am Schwimmen ist. Ihr Alter und das harte Leben haben ihr offenbar eine halbseitige Lähmung eingebracht, weshalb sie nur mit einer Körperhälfte beweglich scheint. Dabei ist sie äußerst ehrgeizig und hantelt sich dreimal wöchentlich einseitig am Beckenrand entlang, während sie mit dem guten Körperteil kräftige Schwimmbewegungen macht. 

Außerdem gibt es viele junge Mädchen, die erstaunlich schwachbrüstig schwimmen – zu langsam, zu betulich, den Kopf viel zu weit aus dem Wasser, das Becken dafür recht tief – da hat der Schwimmcoach in Form des Beanie-Bademeisters noch jede Menge zu coachen. 

Befremdlich finde ich die Menschen, die selbst beim Schwimmen den elektronischen Unterhaltungsknopf im Ohr haben. Wasser und Elektronik gehen sich für mein Verständnis noch immer nicht gut zusammen aus, auch wenn es längst wasserfeste Mobiltelefone und Airpods gibt. 

Meine Erkenntnis: Schwimmen hilft! Insgesamt merke ich, wie meine Kondition vor allem bei anderen Sportarten besser wird. Nachdem ich viele Wochen samstags, sonntags und montags in der Früh Tennis gespielt hab, hat sich meine Beinarbeit durch die regelmäßigen Schwimmstunden deutlich verbessert. 

Fazit: Das Jörgerbad ist das älteste Hallenbad von Wien. 1914 wurde dieses Kleinod erbaut und mit seiner beeindruckenden Architektur schwimmt es sich zwischen Historismus und Jugendstil schlicht kaiserlich. 

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